Als einfache Morchelsammlerin die sich vor vielen Jahren recht gut damit auskannte muß ich diese Frage jetzt doch mal stellen. Was wollen die mit diesen Durcheinander eigendlich erreichen.
Servus Oma Eva,
die Frage ist sicher berechtigt. Zunächst - es geht nicht darum, ob oder was die Wissenschaftler eigentlich erreichen wollen. Es geht ja erstmal nur um die Beschreibung des Ist-Zustands. Es geht um die pure Neugierde, was die Natur angeht. Was man dann aus dem Wissen macht, ist erstmal sekundär wichtig. Es geht um Forschung, die die Neugierde befriedigt. Sie hat Anwendungsmöglichkeiten, dazu komme ich noch.
Um deine Frage zu beantowrten, muss ich aber etwas ausholen bzw. Vergleiche anstellen. Ich gehe mal weg von den Pilzen... Nehmen wir die Birke. Man weiß, dass es bei uns die Hänge-Birke, die Moor-Birke und die Strauch-Birke und zudem die Zwergbirke gibt. Vier Birkenarten (Betule pendula, Betula pubescens, Betula humilis und Betula nana).
Warum nennt man denn nicht all diese Bäume einfach nur Birke? Und warum die Weiden nicht nur Weide? Und die Linden nicht einfach Linden und die Eichen nicht einfach Eichen?
Was soll damit erreicht werden, wenn man mehrere Birkenarten oder mehrere Weidenarten beschreibt?
Letzten Endes soll erreicht werden, dass wir die biologische Vielfalt erkennen können und benennen können. Was wiederum eine Art wirklich ist, dieses Schubladenbasteln für die Natur, die nicht immer in Schubladen passt, kann man da natürlich auch wieder fragen. Das Thema lasse ich aber mal außen vor.
Es ist also erstmal wertneutral, dass Botaniker versuchen, Pflanzenarten beschreiben und es nicht bei Gattungen belassen. Wozu eine Rottanne (heute Fichte) von einer Weißtanne unterscheiden? Beide haben Nadeln, Tanne passt doch?! Und warum jetzt andere Gattungen dafür?
Bei den Morcheln ist es genauso - warum soll man denn nicht Arten definieren und beschreiben? Warum hat die Natur so zu sein, dass wir die Morchelarten leicht erkennen können? Die Morchel muss erkennen können, welches Myzel zu ihrer Art und welches zu einer anderen Art gehört, wenn es sich im Boden nähert. Das macht sie über chemische Kommunikation, was wir halt nicht beherrschen. Daher müssen wir z.B. die Fruchtkörper anschauen. Und angenommen, da gäbe es keine Unterschiede und trotzdem gäbe es Artgrenzen (ich nehme mal Kreuzbarkeit als Beispiel)? Dann haben wir halt Pech, die Natur kümmert es nicht.
Und siehe da, es gibt eine Möglichkeit, doch Arten zu unterscheiden - die DNA-Sequenzen. Mal geht das besser, mal schlechter, aber es geht oft. Und bei den Morcheln scheint es zu gehen. Und da hat man festgestellt, dass es wohl mindestens ca. 60 Morchelarten in Nordamerika und Eurasien gibt. Ist halt so - ohne Hintergedanken.
Dann hat man versucht, Merkmale zu finden, anhand derer man die Arten doch unterscheiden kann - also als Mensch mit Auge, Lupe oder Mikroskop. Und manchmal findet man was, manchmal eben nicht.
Für den Amateur ist es wohl unbefriedigend, wenn er lernen muss, dass man nicht jede Pilzart ohne DNA-Untersuchung bestimmen kann. Wir sind das so nicht gewohnt, weil vorher die Arten anhand von Merkmalen definiert wurden. Und da war es richtig willkürlich. Beispiel Semmelstoppelpilze - manche gingen so weit, dass sie selbst den Rotbraunen Semmelstoppelpilz nur als Varietät des "normalen" Semmelstoppelpilzes ansahen. Heute unterscheidet man auch hier zig Arten. Nur kann man hier noch relativ gut mit dem Mikroskop bestimmen. Bei Morcheln scheint selbst das oft nicht zu reichen.
Eigentlich müsste man sich bei der Natur beschweren und nicht bei den Wissenschaftlern, die versuchen, die Natur nachzuvollziehen. Allerdings galt es bislang als NoGo, Arten neu zu beschreiben, für die es keine Trennmerkmale gibt. Früher hatte man es da dann dabei belassen, auszusagen, dass hier mehrere Arten als Aggregat vorliegen, diese im Moment aber für den Menschen noch nicht unterscheidbar sei. Heute beschreibt man aber auch nur anhand von Sequenzen neue Arten.
Das hat Vor- und Nachteile. Hauptargument pro ist, dass der Artenreichtum unseres Planeten so immens groß ist, dass man sonst nicht schafft, diesen zu erfassen.
Jetzt zum "Nutzen" dieses Wissens... der ist natürlich sehr relativ. Wir Menschen rotten quasi stündlich Tier-, Pflanzen- und Pilzarten aus, tilgen sie von unserem Planeten. Ich finde schon hier allein ethisch begründet, dass wir versuchen sollten, die Vielfalt der Natur zu beschreiben und offenzulegen - nur dann hat man Argumente, die Biotopszerstörung doch mal runterzufahren. Wen kümmert es, wenn eine Art ausstirbt, die keiner kennt? Man erfährt es ja nichtmal.
Was wäre denn, wenn unter den Morchelarten eine stark rückläufig wäre und vom Aussterben bedroht würde, nur weiß man nichts davon, weil Morchel doch Morchel ist. Natürlich erschwert hier die mangelnde Bestimmbarkeit ebenfalls eine Aussage über den Rückgang, aber über Sequenzen würde es wenigstens gehen.
Ich selber habe kein Problem, bei einer Bestimmung auf Aggregatsebene zu denken. Ich sage halt Speisemorcheln i.w.S. und meine alle aus dem Formenkreis. Ich esse auch mal Hallimasch, ohne zu prüfen, ob es jetzt Armillaria gallica oder doch Armillaria cepistipes ist. Ich weiß, dass es auch da mehrere Arten gibt. für die Küche ist das aber irrelevant. Für die Mykologie aber eben doch sehr relevant.
Ich bin froh, dass es eine Gruppe von Wissenschaftlern gibt, die die Morcheln durchackern und die Arten definieren, die in dieser spannenden Gattung enthalten sind. Ich freue mich, wenn ich manche Arten nachvollziehen kann, resigniere aber nicht, wenn ich manche eben nicht bestimmen kann. Spannend ist es allemal.
Was auch klar ist - ich beschäftige mich ja primär mit der wissenschaftlichen Seite der Pilze, auch wenn ich selber gerne Pilze sammle, um sie dann in der Küche zuzubereiten. Letzteres ist aber nur ein wunderschöner Nebenaspekt. Würde ich meist den kulinarischen Aspekt ausleben wollen, dann wiederum würde ich mich auch nicht daran stören, wenn Wissenschaftler herausifnden, dass das, was ich als Morchel sammle, in Wirklichkeit z.B. 20 Arten sind. Erst dann, wenn ich erfahren würde, dass darunter auch manche extrem selten sind und nicht gesammelt werden sollen, würde es mich betreffen. Denn ich würde nicht nur für einen privaten Genuss eine Spezies durch unwissentliches Absammeln schädigen wollen, die schon "am Boden liegt" und der Schonung bedarf.
Naturschutz steht der Naturnutzung eben oft direkt gegenüber. Ich sammle auch keine Böhmischen Verpeln. Die sind bei uns viel zu selten, auch wenn sie, wenn sie denn als Myzel vorhanden ist, recht viele Fruchtkörper produzieren kann. Aber die Anzahl der Vorkommen ist sehr übersichtlich und die Habitate sind langfristig gefährdet. Ich habe mir das Kommentieren der Verpelkörbe hier verkneifen müssen - ich weiß nichtg, wie häufig sie in Österreich ist, aber einer der Körbe wurde in Bayern gesammelt. Sowas tut mir dann ganz unwissenschaftlich weh. Letzten Endes sind wir eben doch alle emotioinale Wesen ;-).
Liebe Grüße,
Christoph
P.S.: wenn du das gelesen hast: ich meine alles nur allgemein als Erklärung und möchte damit nichts unterstellen, auch nicht mit rhetorischen Fragen